22. März 2017

Faszientraining : Trennen Sie sich von ihren Schmerzen

Wie in dem Beitrag „Die Muskelfaszie: Altbekanntes gelangt zu neuer Bedeutung“ erläutert wurde sind Faszien trainierbar und therapierbar. In diesem Artikel geht es nun um die Trainingsmethoden.

Was ist Faszientraining?

Das Fasziengewebe wurde von dem Faszienforscher Dr. Schleip als „das größte Sinnesorgan“ bezeichnet (Schleip & Müller, 2016). Wissenschaftler begreifen immer besser, dass die Faszien vielfältige Funktionen übernehmen und eine wesentliche Rolle bei Schmerzbehandlung, Gesundheitssport und Leistungssport einnehmen können. Entscheidende Erkenntnis der letzten Zeit ist, dass Jeder sein Fasziengewebe trainieren kann – genauso wie man einen Muskel trainieren kann.

Kurz gesagt bedeutet Faszientraining:

Durch spezielle Trainingsreize das Fasziengewebe so zu stimulieren, dass es sich an die Belastung anpasst.

Es ist hier ähnlich wie bei der Muskulatur, den Knochen oder anderen Geweben: Eine Überbelastung schadet ebenso wie eine Unterbelastung. Bezüglich der Anpassungsvorgänge braucht es allerdings mehr Geduld als beispielsweise beim Muskelwachstum. Effekte sind langfristig im Rahmen von 6-24 Monaten zu erwarten (Schleip & Müller, 2016).

Unter Beteiligung eines Therapeuten wird meistens von „Faszien-Therapie“ gesprochen. Trainiert man alleine, wird eher der Begriff „Faszien-Training“ benutzt. Grundsätzlich ist es den Faszien aber egal, ob sie mithilfe eines Physiotherapeuten (Massagetechniken) oder alleine durch Bewegungen stimuliert werden. Wichtig sind lediglich die richtigen spezifischen Reize und Trainingsmethoden.

Was versteht man unter „self myofascial release“?

„Myofascial release“ beschreibt die Erleichterung oder das Lösen von Verspannungen, die auf Faszienprobleme zurückzuführen sind.

Der erweiterte Ausdruck „self-administered myofascial release” oder einfach „self myofascial release“ (SMR) betont zusätzlich, dass es sich um ein Eigentraining bzw. eine Eigentherapie ohne Therapeuten handelt. Nach dem Motto: Selbst ist der Mann / die Frau.

Die nachfolgend beschriebenen Methoden beziehen sich allesamt auf SMR-Methoden.

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Für wen kommt Faszientraining in Frage?

Das Faszientraining kommt grundsätzlich für jeden in Frage, der seinem Körper Gutes tun möchte und zu mehr Wohlbefinden gelangen will. In gewisser Weise kann man Faszientraining als Teil der „Körperhygiene“ betrachten. Nur das es sich nicht ums Zähneputzen oder die Hautpflege, sondern um die Fürsorge am Bindegewebe dreht.

Besonders interessant ist das Faszientraining für folgende Gruppen:

· Schmerzpatienten

  • Rückenschmerzen: Im Besonderen, wenn keine erkennbare Ursache diagnostiziert werden kann (wie z.B. Bandscheibenprobleme)
  • Muskuläre Dysbalance aller Art
  • Hüftschmerzen
  • Knieschmerzen
  • Tennisellbogen
  • Chronische Gesäßschmerzen
  • Schmerzen der Fußsohle
  • Personen mit venöser Insuffizienz
  • Schulterschmerzen ("Frozen Shoulder")

· Gesundheitssport

  • Menschen mit Büroalltag
  • Menschen mit wenig Zeit für Sport

· Sportler

  • Verletzungsprävention
  • Propriozeptives Training, Verbesserung der Koordination

Wie funktioniert Faszientraining?

Die Arbeitsgruppe der Universität Ulm um Dr. Schleip gehört neben Wissenschaftlern um Helene Langevin (Osher Center), Carla Stecco (University of Padova) und Prof. Huijing (Amsterdam) zu einer der vier führenden weltweiten Forschergruppen zum Thema Faszientraining. Die nachfolgend beschriebenen Methoden orientieren sich an den Empfehlungen von der Ulmer Gruppe(Schleip & Müller, 2013).

Das Ziel des Faszientraining ist es, die Fibroblasten zu stimulieren. Myofibroblasten umgeben Faszien und sind kontraktile Elemente (d.h. sie können Bewegungen durch Kontraktionen auslösen). Grundsätzlich müssen Belastungsreize relativ intensiv sein. Das bedeutet, dass das Gewebe eher „kurz und knackig“ angesprochen wird. Nicht zu verwechseln ist diese Aussage im Fall des Faszientrainings damit, dass muskulär intensiv gearbeitet wird. Vielmehr sollen die Faszien intensiv arbeiten. Muskulär intensives Training zeichnet sich durch völlig andere Methoden aus. Was für die Faszien intensiv ist, muss auch nicht in der eigenen Wahrnehmung „anstrengend“ sein

 

Fibroblasten
https://www.flickr.com/photos/zeissmicro/24327908636 https://www.flickr.com/photos/zeissmicro/

Faszien werden intensiv und spezifisch angesprochen, wenn nachfolgende Prinzipien angewendet werden:

  • Kurzes Aufwärmen
  • Dynamische Dehnübungen: Vermeiden Sie statische Dehnübungen. Dehnen Sie außerdem ganze Muskelketten über mehrere Gelenke, statt einzelne Partien.
  • Multidirektional: Statt also monotoner Führung an einem Kraftgerät, lieber variantenreich in alle möglichen Bewegungsrichtungen trainieren.
  • Elastische Gegenbewegungen ausnutzen: Nutzen Sie Gegenbewegungen wie Ausholbewegungen, um die in den Faszien gespeicherte kinetische Energie mit zu nutzen. Richtig durchgeführt, fühlen sich die Bewegungen so leichter und rhythmisch an.
  • Leise und geschmeidig: Je leiser Sie sind, desto besser. Die Lautstärke ist ein Gradmesser für die Beteiligung der Faszien an der Bewegung.
  • Fördern Sie den 6. Sinn: Propriozeption heißt so viel wie Selbstwahrnehmung. Nervenrezeptoren übermitteln dem Gehirn, welche Lage der Körper hat. So können wir z.B. mit geschlossenen Augen den Finger zur Nasenspitze führen. Üben Sie bewusst diese Wahrnehmung des 6. Sinnes. Bewegungen sollen schön, elegant, rund und auch in der Feinabstimmung genau sein. Setzen Sie sich stets zum Ziel Bewegungen noch genauer zu koordinieren.
  • Zusatzgewichte können verwendet werden. Es ist aber keineswegs notwendig, um die Faszien zu reizen.
  • Varianz ist der Schlüssel zum Faszientraining. Sobald Sie Übungen beherrschen, ändern Sie Bewegungsabläufe. Es gibt keine Grenzen für Ihre Kreativität!
  • 1-3 Trainingseinheiten pro Woche sind wirksam. Einige Minuten genügen bereits.
  • Übungen wie Klettern, Hangeln, Hocken, Springen, Balancieren, Purzeln usw. bieten sich an. Abläufe sollten natürlich und funktional sein.
  • Sie können überall trainieren: Zuhause, im Fitness-Center, im Alltag. Suchen Sie nach Gelegenheiten, um aus gewöhnlichen Abläufen ein Faszientraining zu machen. Versuchen Sie zum Beispiel die Treppe zu Ihrem Arbeitsplatz sprunghaft und jeden Tag ein bisschen leiser zu meistern.
  • Nutzen Sie verschiedene Tools und Gegenstände aus der „Krabbelkiste“ als Hilfsmittel.
  • Ernährung, Stress, Entzündungen haben Einfluss auf die Faszien. Beachten Sie Zusammenhänge zwischen Ihrem Lifestyle und dem Training.

Als Tipp:

Ein beispielhafter Übungskatalog wurde in Verbindung mit einer Fernseh-Reportage angefertigt: Quarks & Co

Wer auf YouTube unter den Begriffen „self myofascial release“ oder „Foam rolling“ sucht, findet eine Fülle an Videos mit weiteren Übungsideen.

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Ist die Effektivität von Faszientraining wissenschaftlich bewiesen?

Kurz gesagt: Ja.

Es gibt eine Reihe von Einzelstudien, die zu solchen Ergebnissen kommen. Dabei wurden unterschiedliche Personengruppen mit unterschiedlichen Zielen trainiert.

Vor kurzem haben sich zwei wissenschaftliche Gruppen die Mühe gemacht diese einzelnen Studien zu analysieren (Meta-Analyse / wissenschaftlicher Review).

Beide Übersichten kommen zu dem Schluss, dass Self-myofascial release SMFR – also das eigenständige Faszientraining – effektiv ist. 

Hier die Original-Zitate ihrer Schlussfolgerungen:

· Self-myofascial release SMFR appears to have a range of potentially valuable effects for both athletes and the general population, including increasing flexibility and enhancing recovery. (Beardsley & Škarabot, 2015)

·SMR appears to have a positive effect on range of motion and soreness/fatigue following exercise (Schroeder & Best, 2015)

Weiterführende Informationen:

Praktische Tipps zu Tools und Hilfsmittel aller Art um das eigene Faszientraining zu bereichern, finden Sie in dem Artikel „Tools für Faszientraining (self myofascial release)“.

Nützliche Links mit Fachinformationen:

· www.fasciaresearch.de (Arbeitsgruppe Ulm)

· www.myofascial.de (Deutsche Gesellschaft für Myofascial Release e.V.)

· www.fascial-fitness.de

· http://www.fasciacongress.org/2007/

· http://www.fasciacongress.org/2009/

· http://www.fasciacongress.org/2015/

Literaturverzeichnis

Beardsley, C., & Škarabot, J. (2015). Effects of self-myofascial release: A systematic review. J Bodyw Mov Ther. 2015 Oct;19(4):747-58. Abgerufen am 09. 03 2017 von http://www.bodyworkmovementtherapies.com/article/S1360-8592(15)00217-X/abstract

Hutterer, C. (2015). Das neue Organ und Multitalent. Deutsche Zeitschrift für Sportmedizin Jhg. 66 Nr. 4 2015. Abgerufen am 08. 03 2017 von http://www.zeitschrift-sportmedizin.de/fileadmin/content/DossierderSportmedizin/Dossier_2015/Dossier_2015-04_komplett.pdf

Schleip, R. (25. 03 2009). Faszien im Zentrum der Aufmerksamkeit. (H. Schlosser, Interviewer) Medical Tribune, 41. Jahrgang, Nr. 13, 25. März 2009. Abgerufen am 09. 03 2017 von http://somatics.de/images/pdf/MedicalTribuneInterview09.pdf

Schleip, R. (2015). Faszientraining - Spannkraft für das unsichtbare Netz. Deutsche Zeitschrift für Sportmedizin Jhg. 66 Nr. 12 2015. Abgerufen am 03. 08 2017 von http://www.zeitschrift-sportmedizin.de/fileadmin/content/DossierderSportmedizin/Dossier_2015/Dossier_2015-12_komplett.pdf

Schleip, R., & Müller, D. (2013). Training principles for fascial connective tissues: scientific foundation and suggested practical applications. J Bodyw Mov Ther. 2013 Jan;17(1):103-15. Abgerufen am 09. 03 2017 von http://www.bodyworkmovementtherapies.com/article/S1360-8592(12)00168-4/abstract

Schleip, R., & Müller, D. (09 2016). www.fascial-fitness.de. Abgerufen am 09. 03 2017 von http://fascial-fitness.de/wp-content/uploads/2016/09/Fascial_Fitness_Booklet_Deutsch.pdf

Schroeder, A., & Best, T. (2015). Is self myofascial release an effective preexercise and recovery strategy? A literature review. Curr Sports Med Rep. 2015 May-Jun;14(3):200-8. Abgerufen am 09. 03 2017 von http://journals.lww.com/acsm-csmr/Fulltext/2015/05000/Is_Self_Myofascial_Release_an_Effective.16.aspx

Artikel verfasst von Ralf
Ralf ist Physiotherapeut mit mehr als 20 Jahren Berufserfahrung. Schon früh hat er sich für orthopädische und chirurgische Nachbehandlungen interessiert. Über einen Zeitraum von 10 Jahren hat er Nicolas Kiefer auf der ATP-Tour begleitet und dabei alle großen Tennisstadien auf 4 Kontinenten bereist.

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